Online-Symposium 2020
Glauben ohne Angst?
Gottvertrauen in einem neuen Zeitalter der Angst
Die Angst rund um Corona hat alle anderen Ängste in den Hintergrund gedrängt. Wir leben wirklich in einem neuen Zeitalter der Angst. Welche Rolle spielt da der Glaube? Wie kann Gottvertrauen trösten? Das Spannungsfeld zwischen Verheissung und Realität führt oft zu spirituellen Konflikten. Und dort wo Religion zum System erstarrt, wo Macht ausgeübt wird, dort entstehen berechtigte Ängste. Wie kann man diese überwinden? Die Tagung beleuchtet Glaube und Angst aus theologischer, anthropologischer und psychologischer Sicht.
Corona hat auch Folgen für das Format der Tagung: Nach sechs Symposien des „Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie“ im klassischen Präsenzmodus werden die Vorträge erstmals in Form eines Online-Symposiums veröffentlicht.
Das Online-Symposium ist ein kostenloses Angebot des Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie. Sie können aber gerne unsere Arbeit mit einer Spende unterstützen: IBAN DE50 5206 0410 0100 2020 45 BIC GENODEF1EK1 Evangelische Bank Kassel. Stichwort: Onlinesymposium MIRP
Programm
Prof. Dr. Thorsten Dietz Ein neues Zeitalter der Angst?! Theologische Perspektiven
Online ab 14.10.2020
Polarisierung und Populismus der Gegenwart werden vielfach als Anzeichen eines neuen Zeitalters der Angst gedeutet. In seinem Vortrag führt Thorsten Dietz ein in die Diskussion über die Bedeutung von Ängsten in gesellschaftlichen Entwicklungen. Zugleich erinnert er an hilfreiche Einsichten der Theologie, wie man konstruktive und destruktive Umgangsweisen mit Angst unterscheiden kann.
Thorsten Dietz hat evangelische Theologie und Philosophie studiert. Nach Vikariat und Pfarramt im Ruhrgebiet von 2000 bis 2005 schrieb er in Marburg eine Doktorarbeit über das Thema »Der Begriff der Furcht bei Luther«. Für diese Arbeit wurde er 2010 mit dem Martin-Luther-Preis der Luthergesellschaft ausgezeichnet. 2014 habilitierte er sich an der Philipps-Universität Marburg mit einer Arbeit zum Thema »Religiöse Gefühle«. Als Direktor des Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie beschäftigt er sich vor allem mit der Theologie und Praxis christlicher Spiritualität und der wechselseitigen Beeinflussung von religiöser Erfahrung und psychischer Gesundheit.
Online ab 21.10.2020, 14 Uhr
Prof. Dr. Samuel Pfeifer Spirituelle Konflikte und Ängste – Persönlichkeitsfaktoren und Coping-Möglichkeiten
Angst ist eine grundlegende Emotion unserer Existenz. Der Vortrag gibt einen Überblick über 40 Jahre empirische Forschung in Bezug auf Religion und Angst. Was früher als „religiöse Neurose“ oder gar als „ekklesiogene Neurose“ beschrieben wurde, wird in der neueren Literatur als „spiritual struggles“ bezeichnet. Dabei zeigt sich, dass es nicht eine einseitige ursächliche Verbindung von Religion zur psychischen Störung gibt. Vielmehr spielt die Grundpersönlichkeit eine wesentliche Rolle, wie ein Mensch Religion in sein Leben integriert. Gerade hochsensible Menschen leiden an den Spannungsfeldern zwischen persönlichen Bedürfnissen und religiösen Ansprüchen. Es stellt sich die Frage nach dem therapeutischen Umgang mit der Angst. Wertvolle Hinweise ergeben sich dabei aus dem Coping-Konzept, das eine Annäherung an den Glauben ermöglicht, die nicht primär von Angst geprägt ist.
Samuel Pfeifer, Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, war 25 Jahre lang Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie „Sonnenhalde“ in Riehen bei Basel / Schweiz. Er hat mehrere Bücher und zahlreiche Artikel im Bereich von Seelsorge, Klinischer Psychiatrie und Psychotherapie veröffentlicht. Sein besonderes Interesse gilt psychisch leidenden Menschen, für die der Glaube eine wichtige Stütze ist. So ist er auch engagiert in „Member Care“ – die psychologische Unterstützung von Menschen, die in internationalen christlichen Hilfsorganisationen tätig sind. Daneben ist er teilzeitlich in freier Praxis tätig und lehrt als Professor an der Evang. Hochschule in Marburg. Er ist verheiratet mit Annemarie Pfeifer und hat drei erwachsene Söhne. Website: www.seminare-ps.net
Online ab 28.10.2020, 14 Uhr
Prof. Dr. Michael Klessmann Angst im Glauben – wie im Leben!? – Pastoralpsychologische Überlegungen
„Wer glaubt, muss keine Angst haben“, heißt es gern in kirchlichen Kreisen. Das Ergebnis ist meistens eher ein schlechtes Gewissen als wirkliche Erleichterung. Der Vortrag wirft einen Blick auf das Phänomen Angst, die in der Geschichte sich wandelnden Angstanlässe, skizziert unterschiedliche biblische Traditionen zum Thema und befasst sich abschließend mit dem Umgang mit Angst in Seelsorge und Beratung. Es geht darum, so die These, Wege in der Angst zu finden, statt Angst grundsätzlich abzuwehren bzw. beseitigen zu wollen.
Michael Klessmann, Prof. Dr. theol., Studium der evangelischen Theologie, Lehrsupervisor (DGfP), Gestalttherapeut, pastoralpsychologische Weiterbildungen z.T. in den USA, viele Jahre tätig in Seelsorge / Beratung und Seelsorgeausbildung, Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel. Emeritiert.
Online ab 04.11.2020, 14 Uhr
Dr. Stefan Jäger Angstbearbeitung als theologische und spirituelle Aufgabe – Paul Tillichs Ontologie der Angst („Der Mut zum Sein“) im (interreligiösen) Diskurs
Angst gehört zu den existenziellen Grunderfahrungen menschlichen Daseins. So vielfältig wie die Formen der Angst, sind auch die Bemühungen zu ihrer Überwindung, die seit jeher zu den zentralen Themen von Philosophie und Religion zählen. Das qualifiziert das Phänomen Angst als Thema für den interreligiösen Diskurs gerade so verschiedener Religionsformationen wie Christentum und Buddhismus in besonderer Weise. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war es v.a. Paul Tillich, der vor dem Hintergrund einer Ontologie der Angst den Glauben vom Begriff des Mutes her, der die Angst integriert, neu entfaltet hat. Sein Bestseller The Courage to Be (Der Mut zum Sein) von 1952 findet bis in die Gegenwart starke Beachtung. Zeitgleich mit Tillich befasste sich auch der Praktische Theologe Otto Händler mit dem Thema „Angst und Glaube“. Angst und Angstbewältigung sind also zentrale Themen christlicher Theologie und Spiritualität. Aber auch für den Buddhismus ist Angst als eine Form von Leiden (dukha), das es zu überwinden gilt, ein wichtiges Thema. Eine buddhistische Perspektive auf die Angst und ihrer Überwindung soll anhand der Beiträge von Thich Nhat Hanh, der neben dem Dalai Lama gegenwärtig zu den einflussreichsten Vertretern des Buddhismus im Westen gehört, dargestellt und im Sinne komparativer Theologie ins Gespräch eingebracht werden.
Stefan S. Jäger, Dr. theol., Studium der evangelischen Theologie, war von 1995 bis 2004 im interkulturellen pastoralen Dienst in Japan tätig und wurde 2011 mit einer Arbeit über Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich und im japanischen Shin-Buddhismus an der Philipps-Universität Marburg promoviert. Seit 2013 ist er Dozent für Systematische und Praktische Theologie an der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal und hat einen Lehrauftrag für Religions-und Missionswissenschaft an der Evangelischen Hochschule Tabor / Marburg.
Online ab 11.11.2020, 14 Uhr
Inge Tempelmann Spiritueller Missbrauch – Angst und Trauma im frommen Kontext – Wege der Überwindung
Während Glaube als erstaunliche Ressource in der Bewältigung von Angst neben anderen Lebensherausforderungen erlebt werden kann, ist es in spirituell missbräuchlichen Umfeldern genau umgekehrt. Dort wird Angst induziert und als treibender Motor für unterschiedliche Abhängigkeiten benutzt. Warum sich Menschen – ob in bestimmte Systeme hineingeboren oder nicht – auf Dauer autoritären, destruktiven Strukturen unterwerfen, ist eine spannende Frage. Sind es die Sehnsucht nach Autorität oder eine Neigung zu überhöhter patriarchalischer Macht, die sie in Abhängigkeit bringen und halten, oder gibt es ganz andere Einflüsse, die ihnen einen gesunden spirituellen Weg verwehren? Im Vortrag wird es darum gehen, unterschiedliche „Gesichter“ spirituellen Missbrauchs sowie deren Hintergründe in den Blick zu nehmen, die Faktoren zu verstehen, die offensichtlich oder verdeckt auf Menschen Einfluss ausüben und ihr Denken und ihr Bewusstsein verändern, die weit reichenden Konsequenzen für Betroffene zu benennen und Wege der Überwindung aufzuzeigen.
Inge Tempelmann lebt im Sauerland und ist in den Bereichen Supervision, Coaching und psychologischer Beratung freiberuflich tätig. Die Begleitung von Menschen, die spirituell missbräuchliche Grenzverletzungen im frommen Gewand erfahren haben, sowie unterschiedliche Projekte zu dieser Thematik sind neben anderen Themen ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Als Referentin ist sie im In- und Ausland unterwegs und ist Autorin des Buches „Geistlicher Missbrauch – Auswege aus frommer Gewalt. Ein Handbuch für Betroffene und Berater“.